Als die Abiturienten Theo und Kurt im Jahr 1956 von Westberlin in die DDR zurückkehren, haben sie Schockierendes zu berichten. Sie haben Bilder vom Ungarischen Volksaufstand gesehen und animieren daraufhin ihre Klassen-kameraden zu einer Schweigeminute, welche sie im Geschichtsunterricht abhalten. Die Auswirkungen ihrer Aktion haben sie dabei völlig unterschätzt: Der Bildungsminister wird auf die Jugendlichen aufmerksam und erklärt sie zu Staatsfeinden.
Alles ist möglich. Elizabeth Strout
Amgash, eine trostlose Provinzstadt im mittleren Westen der USA und ihre Bewohner – unterschiedlichste Menschen mit ihren eigenen Lebensgeschichten, die aber trotzdem, mal mehr, mal weniger, miteinander verflochten sind. Die Kapitel, die wie eigenständige Erzählungen daherkommen, liefern kleine Puzzleteile, die dem Leser einen Eindruck des verkorksten Lebens einiger dieser Kleinstadtbewohner vermitteln. Sie alle haben eine Gemeinsamkeit: Sie hadern mit ihrem Schicksal.
Auch wenn im Laufe des Romans viele Menschen in den Vordergrund treten, verliert man als Leser nie den Überblick. Sehr gekonnt erzählt, verknüpft die Autorin die Geschichten ihrer Protagonisten. Leser ihrer bisherigen Bücher werden einige Personen wiedererkennen. Gerne empfohlen für Leser, die nicht ganz chronologisch erzählte Geschichten mögen.
Helene
Diese Lektüre aus der Bücherei, kannst du für dich hier vormerken.
Becoming – meine Geschichte. Michelle Obama
Sehr offen und ehrlich erzählt Michelle Obama von ihrer Kindheit im ärmlichen Süden von Chicago. Das ehrgeizige Mädchen wagt sich, immer unterstützt von ihren Eltern, schrittweise aus dem schwarzen Ghetto heraus, bis hin zur Elite-Uni Harvard. Über ihr Leben wissen wir (dank Regenbogenpresse) einiges, doch das Buch erzählt mehr. Darüber, dass sie ihre Herkunft und die Probleme besonders von schwarzen Mädchen nie vergessen hat, die hieraus resultierende innere Unzufriedenheit mit ihrem ersten, scheinbar glamourösen Job, über den langen Weg und den Wirbel um die von ihr nie gewollte Präsidentschaft, die hiermit verbundenen Probleme als Ehepaar und als quasi alleinerziehende Mutter, und wie sie es letztendlich geschafft hat, sich und ihren Werten treu zu bleiben.
Auch wenn man mit Skepsis an dieses Buch herangeht, wird man überzeugt von der Ehrlichkeit dieser Frau, die nie ihre Herkunft und ihre Werte vergessen hat. Fesselnd von der ersten bis zur letzten Seite.
Helene
Heute schon für morgen träumen: Lori Nelson Spielmann
Eine tolle, emotionale Geschichte über Familie, Mut, Träume und Liebe. Man kann sich gut in die Protagonisten hinein versetzten und ist gespannt wie es weiter geht. Ein herrlicher Schmöker für einige schöne Lesestunden.
Emilia ist von ihrer Großtante Poppy eingeladen, sie bei ihrer Reise nach Italien zu begleiten. Ihre Großtante möchte dort ihren 80. Geburtstag feiern. Emilia ist sehr überrascht über diese Einladung, da sie schon seit längerer Zeit keinen Kontakt mehr zu Poppy hat. Ihre Nonna ist strikt dagegen. Kein Wunder, denn Nonna herrscht über den gesamten Familienclan und hat bereits seit langer Zeit Streit mit Poppy. Emilia ist eine junge Frau mit wenig Selbstvertrauen, arbeitet im Geschäft ihrer Familie für geringen Lohn und hilft immer wieder ihrer Schwester, wenn diese mit den Kindern überfordert ist. Ansonsten verbringt Emilia ihre Zeit am liebsten in ihrer kleinen Wohnung.
Nun ist sie total verunsichert, soll sie sich wie gewohnt nach Nonnas Wünschen richten oder aus ihrem trostlosen Leben ausbrechen und mutig die einmalige Chance ergreifen.
Auch das Leben von Emilias Cousine Lucy verläuft nicht so, wie sie es sich wünscht. Doch Lucy ist das Gegenteil von Emilia, sie ist lebenslustiger, geht gerne aus und ist immer für einen Flirt bereit. Beide Frauen glauben an den Fluch, der besagt, dass zweitgeborene Mädchen nicht heiraten werden, was sich seit Generationen auch bewahrheitet hat und ihnen seit der Kindheit eingeimpft wurde.
Schließlich überredet Poppy Emilia und Lucy gegen den Willen der Familie mit ihr nach Italien zu reisen. Eine erlebnisreiche Reise mit vielen Rückblenden in die Familiengeschichte beginnt.
Andrea
Der Zopf: Laetitia Colombani
Das Buch „Der Zopf“ von Laetitia Colombani handelt von drei Frauen, die in ganz verschiedenen Welten und Kulturen leben.
Smita und ihre Familie leben in Indien und gehören zu den Unberührbaren. Um für ihren Unterhalt zu sorgen, reinigt Smita die Latrinen der höher gestellten Bewohner des Ortes. Sie nimmt ihre kleine Tochter mit, damit sie lernt, wie man mit bloßen Händen die Exkremente herausholt und sie anschließend auf den Feldern verteilt. Smitas Mann jagt tagsüber Ratten, die sie abends für die Familie brät. Ihr Mann ist tief im Glauben verwurzelt und hofft auf ein besseres Leben nach seiner Wiedergeburt. Doch Smita will ihrer Tochter schon jetzt ein besseres Leben ermöglichen. Sie soll Lesen und Schreiben lernen und es einmal besser haben als ihre Mutter. Deshalb beschließt Smita eines Tages ihren Mann und das Dorf zu verlassen.
Giulia, 19 Jahre, lebt in Palermo und hilft ihrem Vater in der kleinen Perückenfabrik, die die Familie schon seit Generationen besitzt. Als ihr Vater einen Unfall hat und ins Koma fällt, übernimmt sie die Leitung der Firma. Sie muss feststellen, dass die Firma hochverschuldet ist und immer weniger Aufträge bekommt, vor allem auch, weil die Qualität der Perücken inzwischen nicht mehr besonders gut ist. Giulia arbeitet hart, um die Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen erhalten zu können. Nur in der Mittagszeit trifft sie sich heimlich mit Kamal, der ihr Mut und Kraft gibt und vor allem Ideen, wie sie die Fabrik moderner machen kann.
Die dritte Frau, die Laetitia Colombani vorstellt, kommt aus Montreal, Kanada. Sie ist eine angesehene Anwältin und alleinerziehende Mutter von drei Kindern. Besonders wichtig ist ihr, Beruf und Familie zu trennen, wodurch ihr Alltag durchstrukturiert ist. Beruflich ist sie kurz davor, die Karriereleiter hochzusteigen und Partnerin in der Kanzlei zu werden, was ihr jedoch immer weniger Zeit für ihre Kinder lässt. Als sie die Diagnose Krebs erhält, fällt sie in ein tiefes Loch, beschließt aber, den Kampf gegen die Krankheit alleine durchzuziehen. In ihrem Terminkalender vermerkt sie verschlüsselt die Termine für die Arztbesuche und Therapien und macht allen in der Kanzlei etwas vor. Bis eines Tages ihre Assistentin im Wartezimmer ihres Arztes sitzt.
Am Ende des Buches fügt Laetitia Colombo das Leben dieser drei Frauen zusammen, obwohl sie sich nie begegnet sind.
Laetitia Colombani erzählt von den Schicksalen dreier sehr starker Frauen, die ihr Leben trotz aller Widerstände in die Hand nehmen und sie zeigt, dass es sich immer wieder lohnt, einen Neuanfang zu wagen.
Ein sehr berührendes Buch mit Tiefgang, das sich lohnt zu lesen!
Agnes
Hier kannst du das Buch „Der Zopf“ vormerken.
Neujahr: Juli Zeh
Lanzarote am Neujahrstag: Nach einem durchwachsenen Silvesterabend steigt Henning aufs Fahrrad, um sich von dem beklemmenden und beängstigenden Gefühl ständiger Überforderung abzulenken. In regelmäßigen Abständen befallen ihn regelrechte Panikattacken, deren Ursache er darin zu erkennen glaubt, dass er seine Rolle als Ehemann, Familienvater und Verlagsmitarbeiter nicht ausfülle.
Typisch für ihn, dass er auch in die Fahrradtour auf die Passhöhe nach Femés schlecht vorbereitet startet und er erreicht das Ziel am Rande seiner Kräfte. Nicht nur um sich etwas zu trinken zu erbitten, zieht es ihn auf dem Pass fast magisch in ein noch etwas höher gelegenes altes Gehöft. Als ihm die Besitzerin das Anwesen und einen tiefen Brunnen zeigt, übermannen ihn plötzlich Bilder, die ihm offenbaren, dass er hier schon einmal gewesen sein muss. Wie kann das sein?
Von hier an wird eine unglaublich mitreißende, spannend und hervorragend geschriebene Geschichte erzählt. Juli Zeh schafft es mit meisterhafter Psychologie, die Ängste des sechsjährigen Henning zu erzählen, der mit seiner kleinen Schwester tagelang allein auf dem Gehöft verbringen musste, weil die Eltern aus unerklärlichen Gründen verschwunden waren. Er begreift, dass die verdrängten Erlebnisse sein ganzes Leben beherrschen und muss sich endgültige Klarheit verschaffen.
Irmgard
Neu in unserem Bestand. Hier gehts zum Vormerken.
Der Buchladen der Florence Green
Die Witwe Florence Green eröffnet im Jahre 1959 in einem kleinen englischen Küstendorf eine Buchhandlung. Mutig stürzt sie sich in die Vorbereitungen und stattet ihren Buchladen liebevoll aus. Die Einwohner des kleinen Städtchens begegnen dem Vorhaben zunächst mit Skepsis, doch schon bald stellen sich erste Stammkunden ein. Bis jedoch Florence das gerade erschienenes Buch „Lolita“ verkauft, des bis dahin unbekannten Autors, Vladimir Nabokov, ist der Ärger und die Aufregung groß.
Der köstliche englische Humor und die feinsinnigen Personenbeschreibungen machen diese Geschichte zu etwas Besonderem. So erzählt der Film sowie die Romanvorlage von Penelope Fitzgerald »Die Buchhandlung« aus dem Jahre 1978 ebenso auch eine Geschichte über das Scheitern und sie entlässt den Leser nicht so einfach in ein bequemes und absehbares Happy End.
Es lohnt sich, den Film in der Originalfassung mit Untertiteln anzusehen, um das herrliche Englisch zu genießen und der detailgenauen, der ländlichen Darstellung Englands in neuen ungewöhnlich schönen Bildern zu folgen.
Mit der Literaturverfilmung „Der Buchladen der Florence Green“ ist der Regisseurin Isabel Coixet eine Hommage ans Lesen, an gute Bücher und an die kleine, persönliche Buchhandlung gelungen.
Und egal, wie eine Geschichte ausgeht, jeder sollte an seine Träume glauben. Dass Florence mutig um ihre Buchhandlung kämpfen muss und ihr bereits der Bankangestellte am Anfang wenig Hoffnung auf ein florierendes Buchgeschäft macht, bildet damals wie auch heute die Situation des Buchhandels ab.
Sibi
Hier kannst du das Buch „Die Buchhandlung“ von Penelope Fitzgerald vormerken.
Hier kannst du die DVD „Der Buchladen der Florence Green“ vormerken.
Das Feld: Robert Seethaler
„Das Feld“ ist ein ungewöhnliches Buch.
Ein alter Mann sitzt wie fast jeden Tag auf einer Bank unter einer Birke auf dem ältesten, leicht verwahrlosten Teil des Friedhofs, das sogenannte „Feld“, und er blickt über die vielen Grabsteine hinweg. Er malt sich aus, was die Toten wohl erzählen würden, wenn sie sprechen könnten und fragt sich, ob sie überhaupt sprechen wollten.
Seethaler lässt sie sprechen und gibt den unterschiedlichsten Bewohnern einer unbedeutenden Stadt einen Namen und eine Stimme. Die Toten erzählen kleine und große, bezeichnende und weniger wichtige, dramatische und ein bisschen romantische, ausführliche und knappe Geschichten aus ihrem Leben und malen so auch ein Bild ihrer Heimatstadt Paulstadt.
Wer eine unterhaltsame und üppige Stadtchronik erwartet, könnte enttäuscht werden. Manchmal lassen sich Fäden zwischen den erzählenden Toten verknüpfen, aber oft auch nicht, so dass das Bild von Paulstadt fragmentarisch bleibt. Aber wer sich auf Seethalers Episodentechnik einlässt, bekommt eine Idee davon, wie vielfältig das Leben ist: Im einzelnen und in der Summe. Für jeden einzelnen, der da auf dem Paulstädter Friedhof liegt, war es sein individuelles Leben und ob es glücklich oder weniger glücklich war: Jeder hatte nur dieses eine Leben und hat daraus gemacht, was er vermochte.
Ein Buch, das von Toten erzählt wird, bricht mit dem Tabu des Todes in unserem modernen Leben. Der Leser erfährt nicht, wie das Sterben ist, aber er bekommt die Gewissheit, dass jeder den Schritt auf die andere Seite des Lebens schaffen kann; schließlich muss er ihn ja auch schaffen! Keiner kann die Zeit und das Leben festhalten. Das kann man bedauern, das kann man aber auch getrost akzeptieren.
Irmgard