„Das Feld“ ist ein ungewöhnliches Buch.
Ein alter Mann sitzt wie fast jeden Tag auf einer Bank unter einer Birke auf dem ältesten, leicht verwahrlosten Teil des Friedhofs, das sogenannte „Feld“, und er blickt über die vielen Grabsteine hinweg. Er malt sich aus, was die Toten wohl erzählen würden, wenn sie sprechen könnten und fragt sich, ob sie überhaupt sprechen wollten.
Seethaler lässt sie sprechen und gibt den unterschiedlichsten Bewohnern einer unbedeutenden Stadt einen Namen und eine Stimme. Die Toten erzählen kleine und große, bezeichnende und weniger wichtige, dramatische und ein bisschen romantische, ausführliche und knappe Geschichten aus ihrem Leben und malen so auch ein Bild ihrer Heimatstadt Paulstadt.
Wer eine unterhaltsame und üppige Stadtchronik erwartet, könnte enttäuscht werden. Manchmal lassen sich Fäden zwischen den erzählenden Toten verknüpfen, aber oft auch nicht, so dass das Bild von Paulstadt fragmentarisch bleibt. Aber wer sich auf Seethalers Episodentechnik einlässt, bekommt eine Idee davon, wie vielfältig das Leben ist: Im einzelnen und in der Summe. Für jeden einzelnen, der da auf dem Paulstädter Friedhof liegt, war es sein individuelles Leben und ob es glücklich oder weniger glücklich war: Jeder hatte nur dieses eine Leben und hat daraus gemacht, was er vermochte.
Ein Buch, das von Toten erzählt wird, bricht mit dem Tabu des Todes in unserem modernen Leben. Der Leser erfährt nicht, wie das Sterben ist, aber er bekommt die Gewissheit, dass jeder den Schritt auf die andere Seite des Lebens schaffen kann; schließlich muss er ihn ja auch schaffen! Keiner kann die Zeit und das Leben festhalten. Das kann man bedauern, das kann man aber auch getrost akzeptieren.
Irmgard